In:
Medienwerkstatt Wien (Hrsg.):
POSITION-N
film medien kunst niederösterreich

Siegfried Mattl: Ein Heimatfilm

Niederösterreich Land im Aufstieg
Ein Heimatfilm
von Siegfried Mattl

Ausgangsmaterial für Gerda Lampalzers „Ein Heimatfilm“ ist ein gut fünfzehnminütiger Tonfilm (16mm, s/w) mit dem Titel „Niederösterreich Land im Aufstieg“. Wenn auch explizite Hinweise auf Verfasser/in oder Produzent/in fehlen, deuten filmästhetische Mittel wie Inhalt auf einen Wahlwerbefilm der niederösterreichischen Volkspartei aus dem Jahre 1959 hin, der aus Wochenschauberichten zusammengestellt worden ist.

„Niederösterreich Land im Aufstieg“ bietet ein Panorama im doppelten Sinne. Zum einen breitet der Film die Geschichte des Landes nach 1945 in markanten chronologischen Daten aus, die bereits in die kollektive Erinnerung übergegangen sind – nicht zuletzt durch die medialen Repräsentationen der Ereignisse selbst, auf deren Archiv „Niederösterreich Land im Aufstieg“ zugreift. Zum anderen bietet er einen thematischen Querschnitt durch Arbeit, Alltag und Kultur im Nachkriegs-Niederösterreich, aus dem eine Gestalt mit klarer Identität erwachsen soll – ein Land in dem Tradition und Fortschritt, Bauerntum und Industrie, Folklore und Hochkultur harmonisch sich ineinander fügen. Die Sinnstiftung erfolgt über den Kommentar aus dem Off in Verbindung mit der Musikuntermalung. Über den Ruinenlandschaften schwebt Schuberts C-Dur Sinfonie. Der Fanfaren-Charakter des Solohorns sichert von Beginn weg die Ernsthaftigkeit wie Ehrwürdigkeit des Themas ab. Die Stimme des Kommentators setzt dazu gleich zu Beginn die entscheidende Zäsur: 1945, Elend und Not, die zerstörte Heimat, und die Notwendigkeit sich dessen zu erinnern. Daran schließen Ikonen des Wiederaufbaus an: die ausländischen Nahrungsmittel-Hilfslieferungen 1945/46, die Währungsreform 1947, die Staatsvertragsunterzeichnung am 15. Mai 1955, die Fertigstellung des Kamptalkraftwerks Ottenstein 1957, die Eröffnung der Wachau-Donauuferstraße 1958 und anderes mehr. Verhältnismäßig diskret wird an mehreren Stellen die eigentliche Botschaft des Films eingeflochten: für volle Fleischerläden und Marktstände, für Straßen, Kraftwerke, Eigentumshäuser, die Freiheit, Melkmaschinen und elektrische Küchengeräte ist einem Mann Dank abzustatten, dem amtierenden Bundeskanzler Julius Raab.

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Niederösterreich hatte sich entschieden, die Landtagswahlen vorzuverlegen und am 10. Mai 1959 gemeinsam mit den Nationalratswahlen durchzuführen. Die beiden überragenden niederösterreichischen Politiker der ÖVP – Julius Raab und Außenminister Leopold Figl – waren aber Bundespolitiker. Das brachte wahlstrategisch eine Aporie hervor. Im Gegensatz zu anderen Bundesländer nämlich entwickelte sich die Landesidentität Niederösterreichs als Projekt der politischen Eliten erst sozusagen „verspätet“ in den 1960er Jahren, mit der Entmachtung Raabs und Figls Übernahme des Landeshauptmannspostens 1961/62. (1) Auch „Niederösterreich Land im Aufstieg“ ist von der starken Position der „Niederösterreicher“ in der Bundesregierung geprägt. Der Anspruch auf Besonderheit des Landes gelingt dort nicht wirklich sinnfällig, wo zugleich für das Land und für den Kanzler in Wien geworben werden soll. Eher sind es lokale Anker innerhalb der größeren Erzählung des Wiederaufbaus, der österreichischen „Erfolgsgeschichte“, die hier gesetzt werden. Vor allem muss der Schwierigkeit kniffreich begegnet werden, den wachsenden Rückstand Niederösterreichs im Wiederaufbau zu dissimulieren und die Benachteiligungen nicht als offene Forderung des Landes gegenüber dem Bund zu reklamieren, wie es wahlkampftaktisch nahe gelegen hätte. Denn: Bis 1955 lag das Land in der sowjetischen Besatzungszone. Nicht zuletzt wegen des ausgedehnten Bereichs der sowjetischen Unternehmensverwaltung (USIA), die gut ein Drittel der Industrie kontrollierte, blieben Niederösterreich entscheidende Mittel der internationalen Kredithilfe (European Recovery Plan) entzogen, auf denen der rasche Wiederaufbau im Westen Österreichs beruhte. (2) Die Arbeitslosigkeit lag signifikant über dem österreichischen Durchschnitt und die Einkommen erreichten nur 80 Prozent des gesamtstaatlichen Niveaus. Um dennoch eine landespatriotische „Erfolgsbilanz“ vorzuweisen führt „Niederösterreich Land im Aufstieg“ auf vordergründige Weise die technischen Großbauten (E-Werke, Erdöltürme, Gasnetzwerk) mit der Anhebung der Bequemlichkeiten im Alltag sowohl von Landwirten wie von Städtern zusammen. So wird wenigstens auf diesem Wege eine Gemeinschaft erzeugt, der es zwar noch an einer Landeshymne (und -hauptstadt) mangelt, die aber durch landeseigene Wirtschaftsbetriebe (NEWAG, NIOGAS) zusammengehalten wird; und durch die gemeinsamen Gaben, die sie – dem Kommentar nach – aus der Hand des Kanzlers empfangen haben.

Kohärenz erzeugt vorteilhafter Weise, wie bereits erwähnt, der einheitliche Kamerastil, der den Wochenschauen – ob Austria Wochenschau (3) oder Fox Tönende Wochenschau – zugrunde gelegen ist. Die Konventionen der Halbtotalen von Politiker-Zeremonien und Bauabschnitts-Eröffnungen, der obligaten Panoramaschwenks über Natur- und Industrie-Landschaften, der am Unterrichtsfilm geschulten Nahaufnahmen technisch-mechanischer Abläufe, kurz: der Sensationalisierung des Trivialen, bilden über die Jahre hinweg einen einheitlichen visuellen Stil, der auf den Gegenstand des Kompilationsfilms selbst übergeht. Gemeinsam mit dem Pathos der ebenso lange eingeübten Wochenschau-Stimmen gewährleistet die geradezu epochale Filmsprache des Wochenschau-Archivs, dass „Niederösterreich Land im Aufstieg“ selbst zu einem jener Gedächtnisorte wird, deren Anerkennung (wie im Falle der „Stunde Null“ der Ruinen von 1945) der Film von seinem Publikum verlangt hat. Gerda Lampalzers Umarbeitung deckt mit der Reduktion aufs Wesentliche, das heißt auf die formalen Redundanzen in Bild- und Tonmaterial, ebenso analytisch wie unerbittlich die Arbeitsprinzipien eines solchen ideologischen Apparates auf.

 

(1) vgl. Roman Pfefferle: Politische Kultur in Niederösterreich: Kontinuitäten und Brüche, in: Stefan Eminger / Ernst Langthaler (Hg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Bd. 1. Politik, Wien / Köln / Weimar 2008, S. 363

(2) vgl. Stefan Eminger/Ernst Langthaler: Niederösterreich. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck/ Wien 2013, S. 38/39; Ostösterreich (Niederösterreich, Wien, Burgenland) erhielt weniger als 20 Prozent des Gesamtvolumens der ERP-Kredite.

(3) Unter Umständen könnte die Austria Wochenschau auch als Produzent aufgetreten sein, wie dies für einige Filme im Auftrag der Stadt Wien dokumentiert ist.